Satiere

Von | April 19, 2016

Ein Leserbrief aus der NZZ vom19.4.2016

Wenn Satire auf Grössenwahn trifft

Satire ist nicht lustig. Sie ist ernst zu nehmen. So ernst, dass wir lachen. Satire ist die kritischste Brille, durch die wir die Welt sehen können. Ihr Kern besteht aus einer teilweise unbehaglichen und beklemmenden Tatsache. Aus einem Wahrheitskonstrukt, das ohne Witz manchmal unerträglich ist. Um diesen Kern nun nicht nur für jedermann verständlich, sondern auch erträglich zu schmieden, ummantelt der Satiriker ihn mit überspitzten und ironischen Mitteln, welche die Tatsache nicht lachhaft, aber umso witziger und tragischer zugleich machen. Satire bringt so die eine Gesichtshälfte zum Lachen, während die andere in nachdenkliche Starre verfällt. Was aber, wenn das Lachen verklemmt und das Nachdenken in Angst vor der Wahrheit erstickt? Aus süsser Satire wird bitterer Ernst.

Um Satire zu verstehen, muss man also auch bereit sein, Unangenehmes zu akzeptieren. Unangenehmes, das man meist bei sich selber findet, und oft eben nicht finden will. Erdogan kann Böhmermanns Satire nicht verstehen, weil er nicht bereit dazu ist, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Er kann die Brille der Satire nicht aufsetzen und damit sein Spiegelbild kritisch analysieren, weil er zu engstirnig ist. Der Witz geht unter in der Angst, sich selber hinterfragen zu müssen. Der Grössenwahn wird zum künstlichen Panzer, der die scharfen Zähne der Satire stumpf macht.

Satire darf nicht alles. So darf sie keine Individuen blossstellen, die nicht von öffentlichem Interesse sind. Doch wenn Satire keine kritischen Beiträge über fragwürdige Regierungen machen darf, dann ist das Grab der Medienfreiheit ausgehoben. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Erdogan die türkischen Medien zu seinen Gunsten beeinflusst. Doch dass er nun auch die deutschen Medien angreift, übersteigt die Grenzen seiner Macht um einen weiteren Schritt, und dies nicht nur territorial. Deutschland muss nun aufpassen, dass es nicht der türkischen Zensur verfällt. Es geht hier um weitaus mehr als um einen Satirebeitrag. Es geht um Europas Medienfreiheit. Das Rezept, diese zu schützen, ist einfach: Man nehme eine Handvoll Humor, eine Prise Verstand und schmecke das Ganze mit einer ordentlichen Portion Selbstkritik ab.

Daniel Hitz, Horgen