Energiestrategie

Von | April 23, 2017

Strategie für die Energiezukunft oder ein teurer Subventions-Tiger? NZZ vom18.4.2017

Strategie für die Energiezukunft oder ein teurer Subventions-Tiger?
Stefan Müller-Altermatt (cvp.) und Doris Fiala (fdp.) über Sinn und Unsinn des neuen Energiegesetzes
Taugt das neue Energiegesetz, um die Schweiz auf den rechten Weg zu bringen?

Müller-Altermatt: Ja, das Gesetz gibt die Antworten, die man jetzt zur Energiezukunft geben kann. Es fördert die neuen Erneuerbaren, steigert die Energieeffizienz und bewahrt das, was in den vergangenen Jahren in die Bredouille kam, die Wasserkraft im Besonderen. Fiala: Eine Energiestrategie, die diesen Namen verdient, geht von einer sauberen Analyse der Ausgangslage aus und benennt nicht nur Reduktionsziele, sondern muss auch den Weg formulieren, wie man diese erreichen will. Das erste Paket, über das wir abstimmen, ist eine Blackbox, weil es offenlässt, was danach kommen soll. Der grösste Mangel ist, dass es nicht auf einer gesamten Ökobilanz beruht. Nicht nur Nachhaltigkeit in der Energieproduktion und im Verbrauch ist wichtig, sondern auch die Klimaziele, worüber ich im Gesetz nichts finde. Es ist eine Vision, doch keine Strategie, weil es weder Massnahmen noch Finanzmittel klar nennt.

Müller-Altermatt: Ziele und Mittel sind benannt. Heute haben wir in der Schweiz im Energiebereich eine über 75-prozentige Versorgung aus dem Ausland, 65 Prozent sind fossile Energieträger. Es ist unbestritten, dass wir in diesem Bereich etwas tun müssen. Wer von einer sauberen Energieversorgung spricht, verkennt die heutige Realität. Das Gesetz nimmt eine Gesamtsicht ein, definiert Massnahmen auch in den Bereichen Wärme, Gebäude und Treibstoffe, die ganze Palette. Dass mit dem ersten Paket nicht alle Ziele erreicht werden, ist klar. Das Umfeld ist so dynamisch, dass es vermessen wäre, jetzt die Massnahmen für 2035 zu definieren. Man muss reagieren können. Es ist deshalb klug, etappenweise vorzugehen.

Fiala: Sie wollen künftig 100 Prozent aus neuen erneuerbaren Quellen generieren und verlangen gleichzeitig, dass die Landschaft nicht beeinträchtigt wird. Das ist schon der erste Zielkonflikt. Zwei Drittel des Stroms gehen an das Gewerbe und die Industrie, doch im Mittelland hat es zu wenig Wind für die Windkraft, weshalb man auf 1600 Meter hinaufgehen müsste, wo schöne Landschaften zerstört würden. Wenn wir heute 75 Prozent der Energie importieren, möchte ich dann sehen, woher die Energie kommen wird, wenn wir die Atomkraftwerke schrittweise abbauen. Es ist unredlich, von sauberer Energie bei uns zu sprechen, wenn wir dann Strom aus deutschen Braunkohlekraftwerken und französischen AKW importieren.

Sprechen Sie vom Gleichen? Von der Gesamtenergie oder vom Strom? 100 Prozent aus Erneuerbaren hiesse keine Verbrennungsmotoren mehr in der Schweiz?

Müller-Altermatt: Das wäre sehr ehrgeizig – und ist genau deshalb auch nicht Zielvorgabe des Gesetzes. Aber langfristig müssen wir weg von diesen riesigen Importmengen fossiler Energie. Eine energieautarke Schweiz kann nicht das Ziel sein, dafür fehlen die Voraussetzungen. Doch wir schicken jedes Jahr im Schnitt 10 Milliarden Franken ins Ausland. Und was wir importieren, verbrennen wir. Das ist stupid. Wir könnten viel mehr Wertschöpfung im Inland generieren. Die Energiezukunft wird ganz anders aussehen, sie wird auch über konvergente und intelligente Netze, synthetisches Gas und neue Speicher verfügen.

Saisonale Energiespeicher gibt es aber noch nicht. Sie sind erst eine Hoffnung.

Müller-Altermatt: Die Gegner bauen nur aufs Prinzip Hoffnung, letztlich wohl darauf, dass es neue AKW geben werde, muss ich aus Ihren Worten schliessen.

Fiala: Es ist ärgerlich, dass unsere Gegner immer versuchen, daraus eine Debatte Atomkraft ja oder nein zu machen. Im Gesetz steht zwar kein explizites Technologieverbot, doch es ist de facto ein Technologieanwendungsverbot, wenn man keine Rahmenbewilligungen mehr erteilen darf. Allein schon wegen der Wirtschaftlichkeit wird bei uns in den nächsten 30 Jahren kein AKW gebaut. Ich befürworte, nachhaltige Energie zu fördern, doch derzeit machen wir das Gegenteil. Bis jetzt ist die Schweiz weltweit mit ihrer Wasser- und Atomkraft und den Erneuerbaren die Nummer eins im Energiemix gewesen. Die im Ausland massiv subventionierte Photovoltaik gefährdet und verschwendet die Wasserkraft, die nicht mehr rentiert. Wenn es ein Überangebot an Solarstrom gibt, müssen wir das Wasser zum Teil um die Turbinen herumleiten, damit die Netzstabilität gewahrt bleibt. Ausgerechnet unser grösstes Erfolgsmodell nachhaltiger Produktion, die Wasserkraft, ist nun infrage gestellt.

Müller-Altermatt: Das ist eine viel zu einfache Sichtweise. Der Hauptgrund der tiefen Grosshandelspreise in Europa ist der Krieg auf den Primärenergiemärkten. Irgendwann um 9/11 herum haben die Amerikaner realisiert, dass sie von ihrem grössten Gegner abhängig sind. Sie setzen auf Fracking und Kohle, so dass der Kohlepreis weltweit zusammenbricht und billige Kohle nach Europa kommt. Geopolitische Spiele haben die Energiepreise kaputtgemacht. Wir können aber nur für die Schweiz Gesetze machen. Und das Energiegesetz ist die richtige Reaktion auf dieses schlechte Umfeld, weil wir weniger abhängig werden, wenn wir weniger Energie verbrauchen.

An sonnigen Tagen liefern die Erneuerbaren über 80 Prozent des Stroms in Deutschland.

Fiala: An solchen Tagen wird auch wie verrückt Strom exportiert und auch in die Schweiz verkauft. Aber am schlechtesten, bedeckten Wintertag konnte Deutschland 2016 nur zu 2 Prozent seinen Strombedarf aus Erneuerbaren decken. Das zeigt die Volatilität und die Problematik, wenn verlangt wird, dass Strom zu 100 Prozent nachhaltig und am besten mit Wind und Photovoltaik erzeugt werden muss.

Müller-Altermatt: Ein Nein zum Energiegesetz bringt uns noch weiter weg von der Versorgungssicherheit, weil wir dann gar keine Kapazitäten hinzubauen, dann fehlt uns der Grundstock. Wir haben kein Kapazitätsproblem in der Schweiz, solange die AKW laufen. Aber sie werden nicht ewig laufen.

Vor allem in den Wintermonaten werden wir ein Versorgungsproblem haben.

Müller-Altermatt: Ja, wir importieren jetzt schon Strom von Januar bis April. Das wird sich verschärfen. Dieses Problem haben wir mit oder ohne Energiestrategie. Ich habe nie behauptet, dass wir diese Stromlücke mit dem Energiegesetz schliessen können. In der zweiten Etappe brauchen wir ein neues Marktmodell im Strombereich. Würden wir das jetzt schon machen, würden wir den Karren überladen und möglicherweise auch in die falsche Richtung gehen.

Fiala: Die Stromverhandlungen mit Deutschland sind mehr als vage, zuerst möchte ich einen Vertrag sehen, damit die Versorgung sichergestellt ist. Wir müssen einfach bei den Fakten bleiben und sagen, was möglich ist und was nicht. Laut Bund ist das grösste Risiko für die Schweiz nicht ein nuklearer Unfall, sondern ein Strom-Blackout. Die Energiestrategie verlangt, dass wir unseren Energieverbrauch bis 2035 um 43 Prozent drosseln und auch beim Strom 13 Prozent weniger konsumieren. Das ist ein Widerspruch, wenn man gleichzeitig mehr Elektrofahrzeuge will. Ich erwarte, dass man sagt, dass dies extrem ehrgeizig ist und extrem viel Geld kosten wird.

Was soll denn passieren, wenn in 15 bis 20 Jahren das letzte Schweizer AKW vom Netz geht?

Fiala: Am 27. November 2016 hat die Mehrheit der Schweizer Nein dazu gesagt, sofort aus der Atomkraft auszusteigen. Wir haben nun Zeit und müssen nicht überhastet entscheiden, wie wir weiterfahren wollen. Was soll der Stimmbürger davon halten, wenn das Parlament noch vor der Abstimmung das zweite Paket der Energiestrategie wegwischt? Das ist unseriös.

Wie gross ist denn die Gefahr, dass nun auch die Energiestrategie auf halbem Weg steckenbleibt, wie es bei der Strommarktliberalisierung geschehen ist?

Fiala: Das kann passieren. Deshalb müssen wir Schritt für Schritt vorgehen und nicht überhastet reagieren, weil sich in Fukushima ein nuklearer Unfall ereignet hat und vier Bundesrätinnen panikartig agierten, als ob wir in der Schweiz die gleiche Problematik hätten.

Müller-Altermatt: Bei uns laufen die AKW bis zum Ende ihrer Lebensdauer. Die Gegner bleiben immer die Antwort schuldig, wie sie die Stromlücke nach dem Auslaufen der AKW füllen wollen. Und sie haben keine Antwort darauf, wie die Versorgungssicherheit bei einer Ablehnung des Gesetzes sichergestellt werden kann. Wir haben eine Antwort: In der ersten Etappe bauen wir die Erneuerbaren aus, damit wir eine Basis haben, um mit einem neuen Marktdesign und den Effizienzmassnahmen die Ziele zu erreichen.

Reicht das, um die wegfallende Produktion aus den AKW zu kompensieren?

Müller-Altermatt: Ja, es muss reichen. Wegen der Substitution fällt der Verbrauch beim Strom mit minus 13 Prozent ja geringer aus als beim gesamten Energiebereich mit 43 Prozent. Ein Elektromobil ist übrigens auch ein Speicher. Mir ist egal, ob mein Elektromobil von 12 bis 3 Uhr in der Nacht oder von 3 bis 6 Uhr aufgeladen wird. Das ist die Energiezukunft.

Fiala: Mitarbeiter des Bundesamts für Energie sagen klar, dass es rasch Gaskombikraftwerke braucht. Dazu sollte man ehrlich stehen. Das ist jedoch eine Übergangslösung, die CO2 ausstösst und den Klimazielen entgegensteht. Ohne Gaskraftwerke können wir die Versorgungssicherheit aber nicht gewährleisten. Ich finde das auch nicht toll. Die Strategie der Linken und der CVP klammert viel aus. Einigen wir uns doch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf das, was funktionieren kann unter Einbezug des Energie-Trilemmas zwischen Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, also auf etwas, was unsere Industrie nicht kaputtmacht. Mir ist es sehr wichtig, dass sie nicht auswandert. Die Zementindustrie produziert schon viel im Ausland, auch die Kunststoffbranche ist zum Teil ausgewichen. Wir können uns nicht erlauben, die Rahmenbedingungen, neben dem starken Franken und den hohen Löhnen, auch noch im Energiebereich zu verschärfen.

Wurde die zweite Etappe der Energiestrategie, der Wechsel vom Subventions- zu einem Lenkungssystem, aus abstimmungstaktischen Gründen gestrichen?

Müller-Altermatt: Nein, das hat sich aus der heutigen Situation ergeben. Alle haben immer gesagt, es sei gescheiter, zu lenken, statt zu fördern. Das befürworte ich absolut. Aber wenn man so zerstörte Preise wie jetzt im Energiemarkt hat, ist man weit weg von einer lenkenden Schmerzgrenze. Die Pönale müsste umso höher sein. Wegen der wirtschaftlichen Belastung würden die Unternehmen dann Ausnahmen verlangen. Die Grossverbraucher müssten entlastet werden, und jemand anders müsste bezahlen. Deshalb funktioniert derzeit das Lenkungsprinzip nicht.

Was bringt es denn, jetzt nur über die erste Etappe der Strategie abzustimmen?

Müller-Altermatt: Es bringt ein ganzes Paket an sinnvollen Massnahmen, darunter die marktnähere Ausgestaltung der Fördermittel und die Befristung mit einer Guillotine, die nach fünf Jahren fällt. Hier werden wir nicht auf halbem Weg steckenbleiben, wie bei der Strommarktliberalisierung. Wir müssen jetzt das neue Marktdesign aufsetzen, daran arbeiten wir in der Kommission.

Die Rede ist von ruinös hohen Kosten des Energiegesetzes. Was kostet es?

Fiala: Mit allen Subventionen, Fördermitteln und Investitionen, die es auch im zweiten Massnahmenpaket geben wird, kommt man auf rund 200 Milliarden Franken. Das entspricht ungefähr 2,5 Mal dem gesparten Volksvermögen. Alle werden bluten müssen und mehr für die Energie bezahlen.

Wenn das Gesetz abgelehnt wird, hätte man all diese Kosten nicht?

Fiala: Es stimmt, dass der grösste Teil der Kosten in der zweiten Etappe der sogenannten Energiestrategie anfällt. Diese muss aber kommen, sonst haben wir eine Strategie ohne Umsetzung, das ist keine Strategie. Deshalb muss man Schritt für Schritt vorgehen und schauen, dass wir mit der EU ein Stromabkommen abschliessen können. Müller-Altermatt: Aha, Sie wollen also deutschen Kohlestrom als Alternative? Im Gesetz steht lediglich die Erhöhung des Netzzuschlags, was pro Haushalt zusätzliche 40 Franken pro Jahr ausmacht. Die 200 Milliarden Franken Infrastrukturkosten für Netze, Produktion und Modernisierung zugunsten der Effizienz haben wir so oder so. Die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) ist übrigens keine Subvention aus Steuergeldern, sondern ein Umlageverfahren und verursachergerecht.

Das schmeckt sehr nach Etikettenschwindel, wie bei der Subvention der Grosswasserkraft, die Marktprämie genannt wird. Weshalb braucht es denn noch diese Unterstützung?

Müller-Altermatt: Weil der Markt von aussen kaputtgemacht wurde. Jede Minute fliessen weltweit 10 Millionen Dollar Subventionen in fossile Energien. Das ist der Krieg auf dem Primärenergiemarkt. Wenn die Preise wieder steigen und der Markt wieder funktioniert, werden unsere Subventionen und Unterstützungen auslaufen. Das ist doch das Gute am Ganzen.

Wäre es nicht ökonomisch sinnvoller, statt teuer Produktion aufzubauen, eher unsere Stromnetze auszubauen und von den voraussichtlich noch lange tiefen Preisen im Ausland zu profitieren?

Müller-Altermatt: Das ist für mich keine Strategie. Das nagt dann an unserer Versorgungssicherheit, wenn die Deutschen und die Franzosen ihre AKW abstellen. Deshalb müssen wir in der Schweiz Produktionskapazitäten zubauen.

Fiala: Die Variante mit einer stärkeren Vernetzung und Marktintegration ist mir nicht unsympathisch. Aber Deutschland fährt eine strenge Strategie, um von der Atomkraft wegzukommen. Wenn Sonne und Wind nicht reichen, schaltet Deutschland auf Braunkohle um, so dass der europäische Strommix dreckiger wird.

Die Schweiz ist beim Strom schon heute eng mit Europa vernetzt und die Abhängigkeit gegenseitig. Solange die Schweiz den Preis bezahlt, erhält sie doch den Strom. Weshalb dieser Heimatschutz?

Müller-Altermatt: Es geht um die Energie insgesamt, nicht nur um den Strom. Autarkie ist nicht das Ziel. Es geht darum, die 10 Milliarden Franken für fossile Energie, die wir jährlich verbrennen, zu reduzieren. Wenn wir zum Beispiel Strom in Wärme-Kraft-Kopplungen machen mit Holz, das zuvor in Schweizer Wäldern gewachsen ist, dann findet die Wertschöpfung in der Schweiz statt.

Fiala: Die Photovoltaik wird schon sehr verherrlicht. Die Solarpanels werden in China gebaut. Bei ihrer Herstellung entsteht CO2, und am Ende haben wir 5 Prozent Sondermüll. Man muss versuchen, im Energie-Trilemma den bestmöglichen Weg zu gehen. Bisher taten wir das – bis nach Fukushima, als der Bund panikartig und überstürzt auf die Energiewende umschwenkte. Ihre Seite hat sich verrannt, aber Sie können nicht mehr zurück, weil es inzwischen ein Prestigeprojekt geworden ist und sehr viele am Subventionstropf hängen.

Müller-Altermatt: Es greift zu kurz, wenn Sie nur von den Solarpanels sprechen. Gebäudesanierungen, Wärmeverbünde, Holzkraftwerke, intelligente Netze, Power to Gas – all diese Massnahmen führen zu Wertschöpfung in der Schweiz. Und wir müssen diese anreizen, solange der Heizölpreis so tief ist.

Fiala: Das stellt die Eigenverantwortung infrage. Die Wirtschaft hat doch längst begonnen, ressourcenschonend zu produzieren, wo immer es geht – denn wenn sie effizienter ist, fährt sie auch kostengünstiger. Auch ohne Energiegesetz stellen viele Private um, wenn sie zum Beispiel eine Heizung ersetzen oder ein Haus neu bauen. Es gibt sehr viel Eigeninitiative. Aber wenn man den Bogen überspannt, erzeugt man Widerstand und verspielt Goodwill. Man kann nicht im Schnellzugtempo durchfahren, sondern muss in einer direkten Demokratie die Bürger mitnehmen.

Haben die Parlamentarier kein schlechtes Gewissen, nach drei Jahren ein Gesetz vorzulegen, das im Grunde nichts löst?

Müller-Altermatt: Das Gesetz verbessert viel. Es führt zu Effizienzsteigerungen und zur richtigen Förderung und setzt die richtigen Anreize im aktuellen Umfeld. Ich bin auch für Eigenverantwortung, ich sehe einfach, dass es in der Praxis nicht geht, weil wir diese Preissituation bei den Fossilen haben.

Wie soll die Wasserkraft in Zukunft bestehen können?

Fiala: Wir müssen die Wasserzinsen neu verhandeln und dafür sorgen, dass die Wasserkraft ausgebaut werden kann, auch mit der Erhöhung von Staumauern. Dazu braucht es alle Partner an einem Tisch, insbesondere die Umweltschützer. Es darf auch nicht sein, dass die subventionierte Photovoltaik und der internationale Markt die Wasserkraft in Gefahr bringen. Man muss den Markt spielen lassen.

Müller-Altermatt: Heute investiert niemand, weil die Preise so tief sind. Mit der Energiestrategie dämmen wir ein Stück weit das investitionsfeindliche Umfeld ein, das derzeit herrscht. Das wird sich erst ändern, wenn die grossen Kapazitäten vom Netz gehen – Kohlekraftwerke in Deutschland, AKW in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz. In der zweiten Phase braucht es ein neues Marktdesign, das jene Investitionen anreizt, die nötig sind, um die Lücke beim Strom von Januar bis April zu füllen. Im Raum stehen verschiedene Alternativen wie ein Kapazitätsmarkt oder strategische Speicherreserven.

Was passiert ganz konkret bei einem Nein zum Energiegesetz?

Fiala: Wir haben dann nicht diesen überhasteten Prozess und können Schritt für Schritt klären, welche Lasten die Bevölkerung und die Industrie bereit sind zu tragen und mit welchen Schritten wir erreichen, dass die Schweiz beim Auslaufen der AKW genug Strom hat. Wir müssen vor allem die Speicherung vorantreiben. Aber wir werden keine Strategie befürworten, die derart teuer und bürokratisch ist, ein Subventions-Tiger, wie wir ihn in der Landwirtschaft haben.

Müller-Altermatt: Ohne Energiegesetz gehen wir ohne Strategie in die Zukunft. Wir werden die AKW am Ende ihrer Lebensdauer vom Netz nehmen und für diese Kapazitäten noch mehr Strom importieren müssen. Wir werden keine Effizienzmassnahmen anreizen können und unsere Klimaziele deutlich verfehlen. Wir vergeben eine Chance, wenn wir Nein sagen.

Fiala: Wir werden die Hausaufgaben machen. Aber diese können nicht bis zu 211 Milliarden Franken kosten wie die jetzige Energiestrategie. Die Befürworter müssen ehrlich die einzelnen Umsetzungsschritte aufzeigen, unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit. Und Sie müssen zugeben, dass es für den Übergang Gaskraftwerke braucht.

Müller-Altermatt: Gaskraftwerke haben wir jetzt schon, sie stehen in Italien und Spanien. Wir wollen jedoch weg davon. Dazu gibt es nicht nur Solarenergie und Wind, sondern regulierbare Wärme-Kraft-Kopplungen, die Power-to-Gas-Technologie und Batterien, mit denen man Strom sehr lange speichern kann. Damit wird man die Winterlücke überbrücken müssen und können.

Was wäre denn ein besseres Gesetz?

Müller-Altermatt: Dieses Gesetz bringt uns auf den richtigen Weg. Wir gehen etappenweise vor, denn wir wissen nicht, welche Technologie am schnellsten am Markt ist und wie er sich entwickelt. Es wäre dumm, jetzt alles bis 2035 zu regeln. Wir können mit dem Gesetz nicht alle Probleme lösen, aber wir können jetzt einen Beitrag leisten. Das ist besser, als nichts zu tun.

Fiala: Wenn eine Energiestrategie vorgelegt wird, dann erwarte ich, dass eine saubere Lageanalyse gemacht wird und dann realistische Ziele gesetzt werden. Und dann muss man auch sagen, wie man konkret und etappenweise diese Ziele erreicht. Ohne das zweite Paket mit den genauen Massnahmen und Kosten ist diese Strategie nicht einmal eine Vision, sondern eine Illusion. Die utopischen Reduktionsziele müsste man herunterfahren, damit man die Gesellschaft nicht vollends bevormundet.

Gesprächsführung: Giorgio V. Müller und Helmut Stalder