Italienisches Chaos zum 1.

Von | Juni 2, 2018

Chaos im Römer Politzirkus

Neuer Anlauf der Populisten zur Regierungsbildung (NZZ, 31.5.18)

Der vom Staatspräsidenten beauftragte Ökonom Carlo Cottarelli kann das Amt des Regierungschefs noch nicht antreten. Hinter den Kulissen wird noch einmal um eine politische Lösung gerungen.

Andrea Spalinger, Rom

Der Römer Politzirkus gleicht dieser Tage einem Irrenhaus. Die politischen Hauptakteure ändern ihre Positionen fast stündlich. Die Öffentlichkeit ist überfordert damit, die immer neuen Wendungen einzuordnen. Und so verbreiten sich ständig neue Gerüchte und Theorien. Am Dienstagabend hätte der vom Präsidenten Sergio Mattarella mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragte Carlo Cottarelli seine Ministerliste präsentieren sollen. Doch dann verschwand der 64-jährige Wirtschaftsexperte nach dem Treffen mit Mattarella durch eine Seitentüre.

Cottarelli wartet ab

Umgehend machte sich die Theorie breit, der ehemalige Ökonom des Internationalen Währungsfonds habe nicht genügend hochkarätige Fachleute für die undankbare Aufgabe gefunden und wolle sein Mandat niederlegen. Nach zwei weiteren Treffen zwischen dem Präsidenten und dem designierten Regierungschef am Mittwoch liessen die beiden jedoch verlauten, die Kabinettsliste stehe, man wolle aber erst abwarten, ob sich vielleicht doch noch eine politische Lösung finden lasse.

Es war von Anfang an klar gewesen, dass Cottarelli wegen des Widerstands von Cinque Stelle und Lega keine Mehrheit im Parlament erhalten würde. Die Kammern hätten deshalb sowieso aufgelöst und Neuwahlen angekündigt werden müssen. Das Technokraten-Kabinett hätte in den nächsten Monaten nur die Tagesgeschäfte führen sollen. Aus Angst, von den Populisten im Wahlkampf beschossen zu werden, wollen aber offenbar auch die anderen Parteien Cottarelli nicht ihr Vertrauen aussprechen. Unter diesen Umständen hätte der Ökonom allerdings null Legitimität und deshalb wohl auch keine Lust, sich zu opfern.

Am Mittwoch wurde hinter den Kulissen offenbar darüber verhandelt, wie Cottarelli zumindest ein «begrenztes Vertrauen» ausgesprochen werden könnte. Parallel dazu fanden aber auch nochmals politische Gespräche statt.

Die Lega bremst

Der Chef der Cinque Stelle, Luigi Di Maio, zeigte sich dabei kompromissbereit und bot an, den umstrittenen Kandidaten für das Finanzministerium, Paolo Savona, auf einen anderen Posten zu verschieben. Di Maio traf Mattarella am Nachmittag sogar zu informellen Konsultationen. Seit dem Scheitern der Koalition mit der Lega macht der 31-jährige Süditaliener einen ziemlich nervösen Eindruck. Nach dem Showdown am Sonntag hatte er das Staatsoberhaupt als «Verräter an der Verfassung» bezeichnet und diesem gar mit einem Amtsenthebungsverfahren gedroht. In der Zwischenzeit ist er aber von dieser Forderung abgerückt und gibt sich wieder staatsmännisch.

Der für das Scheitern der Koalition hauptverantwortliche Lega-Chef, Matteo Salvini, hingegen scheint keine Lust aufs Regieren mehr zu haben. In Videobotschaften und Fernsehinterviews gibt er sich zwar empört darüber, dass die Populisten von der Macht ferngehalten und der Wille des Volkes missachtet würde. Der rechtspopulistische Scharfmacher verweigert sich aber weiterhin jedem Kompromiss. Salvini hat in Umfragen stark zulegen können und will deshalb Neuwahlen. Am Mittwoch machte er Lokalwahlkampf in Umbrien und der Toskana und überliess es dem Stellvertreter, sich um die Staatskrise zu kümmern.

87 Tage nach den Wahlen herrscht somit erneut völlige Ungewissheit darüber, wie es weitergeht. Einige Medien wollen erfahren haben, dass es im Parlament eine breite Front für Wahlen noch im Juli gebe. Andere berichten, dass Cottarelli in den nächsten Tagen eingeschworen und bis im September regieren werde. Wieder andere wollen erfahren haben, dass die Populisten doch eine Regierung bilden werden.

Finanzen, Seite 33

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