Italienisches Chaos zum 2-ten

Von | Juni 3, 2018

Strategie der Erpressung

Die neuen Regierenden in Italien haben klargemacht, dass sie zur Konfrontation mit den europäischen Partnern bereit sind. Man sollte ihnen das Diktat des Handelns nicht überlassen. Von Andres Wysling

In Rom haben sich die Populisten Matteo Salvini und Luigi Di Maio in komplizierten, dreimonatigen Verhandlungen inszeniert und durchgesetzt. Sie haben gezeigt, dass sie einen ausgeprägten Machtinstinkt haben und zudem gewiefte Verhandler sind, dass sie Schwerpunkte setzen können und auch in verworrenen Lagen den Überblick behalten – und dass sie sich nicht scheuen, bei Bedarf ihre Prinzipien und Verbündeten über Bord zu werfen. Der führende Partner in diesem Schautanz war Salvini, zusammen bot das ungleiche Paar eine beeindruckende Vorstellung von Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit, auch von Brutalität.

Jetzt übernehmen die beiden Populisten in Italien die Macht. Sie haben der Bevölkerung Unmögliches versprochen, darum wurden sie gewählt. Wie sie ihre Versprechen einlösen wollen, werden sie noch zeigen müssen. Jedenfalls sind sie entschlossen, mit revolutionärem Elan das Land umzukrempeln und das System auszuhebeln. Getragen werden sie von einer Bewegung – genauer von zwei Bewegungen – von Unzufriedenen. Diese Regierung weckt grosse Hoffnungen bei all denen, die wollen, dass sich «etwas ändert» in Italien. Sie weckt grosse Ängste bei denen, die sich fragen, was dabei am Ende herauskommt.

Die Finanzmärkte haben in den letzten zwei Wochen deutlich gezeigt, dass sie einer solchen Populistenregierung mit höchstem Misstrauen begegnen. Dies mit gutem Grund. Das Regierungsprogramm sieht Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen in grossem Umfang vor. Der Staatshaushalt kommt so in die tiefroten Zahlen, und die Staatsverschuldung nimmt weiter zu. Es droht, wenn die Pläne so umgesetzt werden wie angekündigt, nicht nur eine Verletzung der EU-Budgetrichtlinien, sondern es drohen vor allem eine Bankenkrise und der Staatsbankrott. Dies wäre für ganz Europa verheerend.

Italien ist zu gross, als dass man das Land einfach untergehen lassen könnte. Darum hat die Europäische Zentralbank in den letzten Jahren den Regierungen in Rom mit dem Aufkauf von Staatsanleihen im grossen Stil geholfen. Aber Italien ist auch zu gross, als dass man es retten könnte, wenn es einmal in eine Abwärtsspirale gerät. Diese Gefahr verschärft sich mit der neuen Regierung von Lega und Cinque Stelle. «Italien zerstören, um Europa zu zerstören» – auf diese drastische Kurzformel brachte kürzlich die Römer Zeitung «La Repubblica» das Regierungsprogramm der Populisten.

So weit muss es nicht kommen. Die langwierige Regierungsbildung in Rom hat zu einem merkwürdigen Kabinett geführt, das als «politisch-technisch» beschrieben wird. Neben Politikern aus den beiden Koalitionsparteien gehören ihm auch Professoren an. Ihnen ist anscheinend die Rolle zugedacht, als Experten und Moderatoren zu wirken und die Regierung vor Irrgängen und Abenteuern zu bewahren. Ob sie das können und wollen, ist fraglich.

Forsche Draufgänger

Die Hauptfiguren in der neuen Regierung sind Salvini und Di Maio. Sie haben sehr unterschiedliche Zielsetzungen. Salvini will mit einer Flat Tax und weiteren Steuererleichterungen die Ansprüche seiner Anhänger befriedigen; zu diesen gehören namentlich die mittelständischen Gewerbetreibenden in Norditalien. Ferner will er die Migranten ohne Aufenthaltsbewilligung aus dem Land weisen; er hat ein menschliches Vorgehen in Aussicht gestellt. Offenbar hofft er, als Innenminister bei dieser Aufgabe zu brillieren und so seinen Anhang vergrössern zu können.

Di Maio auf der andern Seite will den Sozialstaat ausbauen, insbesondere mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für Arbeitslose, das er als «Bürgerlohn» anpreist. Damit zielt er auf seine Klientel im strukturschwachen Süden Italiens. Der Mezzogiorno liegt trotz allen Entwicklungsprogrammen wirtschaftlich immer noch weit hinter dem Norden zurück. Die in letzter Zeit vernachlässigte Mezzogiorno-Problematik dürfte mit der neuen Regierung wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten. Als Minister für Entwicklung und Arbeit kann Di Maio sich hier beweisen.

Neben den beiden Parteichefs dürfte der neue Regierungschef, Giuseppe Conte, eine untergeordnete Rolle spielen; er ist wohl eher als Aushängeschild zu sehen. Eine prominente Rolle erhält aber der umstrittene Volkswirtschaftsprofessor Paolo Savona. Der erklärte Euro-Gegner soll jetzt allerdings nicht für die Finanzen zuständig sein, wie ursprünglich geplant, sondern er wird Minister für die Beziehungen mit der Europäischen Union. Man kann voraussagen, dass diese Beziehungen angespannt sein werden.

Der Austritt aus dem Euro ist nicht das erklärte Ziel der neuen Regierung in Rom, aber sie zieht diesen Schritt zumindest in Betracht oder droht damit. Mit dieser Drohung hofft sie von der Europäischen Zentralbank und den andern Staaten im Währungsverbund weitere finanzielle Zugeständnisse für Italien zu erwirken oder zu erpressen. Das wurde angekündigt im Entwurf für das Regierungsprogramm, der grossen Schrecken auslöste, und dafür steht jetzt die Person Savonas.

Die Strategie ist ziemlich unverblümt und kann darum wirkungsvoll sein, weil sie gegen ein «europäisches» Tabu verstösst. In den Köpfen der Eurokraten ist es praktisch undenkbar, dass ein Land sich von der Gemeinschaftswährung verabschiedet. Auch für einen Grossteil der Bevölkerung in den Staaten der Euro-Zone, nicht zuletzt in Italien selbst, ist der Euro ein sicherer Wert, auf den man nicht verzichten möchte. Doch ist es jetzt an der Zeit, sich von diesem Dogma zu verabschieden. Den Italienern sollte ausdrücklich die Möglichkeit angeboten werden, sich vom Euro zu verabschieden, wenn ihnen das Dasein im Korsett der Finanzdisziplin nicht behagt. Damit erschliessen sich erweiterte Handlungs- und Verhandlungsspielräume, die Erpressung läuft ins Leere.

Mit der neuen Regierung in Rom werden die zentrifugalen Kräfte in der Europäischen Union verstärkt. Der Brexit muss verdaut werden, die autoritären und demokratiefeindlichen Tendenzen in Polen und Ungarn verlangen eine Antwort, und jetzt erzwingt noch Italien eine neue Diskussion über Finanzdisziplin, Schuldenmanagement und Währungspolitik. Es geht bei diesen Themen um gemeinsame Werte und nicht zuletzt um Geldwerte. Und es geht um nationale Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten.

Lust an Konfrontation zügeln

Die letzten Tage haben wieder einmal gezeigt, wie gross das Erregungspotenzial ist. Ein Tweet mit einem falschen Zitat kann eine wahre mediale Hetze entfachen, in der anscheinend ganze Nationen sich gegenseitig schmähen und verhöhnen. Für Salvini und Di Maio, aber noch für weitere Politiker in Italien, gehört das Wettern gegen «la Merkel» schon lange zur Strategie ihrer Propaganda. Falls sie in der Regierungsverantwortung diesen Ton beibehalten, werden vernünftige Verhandlungen schwierig, insbesondere zwischen Berlin und Rom, aber überhaupt zwischen den europäischen Partnern.

Man muss sich darauf einstellen, dass die Populistenregierung für längere Zeit an der Macht bleibt. Die beiden ungleichen Partner haben ein grosses gemeinsames Interesse: Sie wollen ihre zentralen Wahlversprechen verwirklichen, jeder die seinen. Dazu sind sie aufeinander angewiesen, sie können nicht auseinandergehen. Für die Umsetzung ihrer Vorhaben werden sie Zeit brauchen; solche umfassenden Reformen lassen sich nicht übers Knie brechen, wenn sie gelingen sollen. Allerdings sind die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Protagonisten und ihren Parteien gering, früher oder später wird es zu Konflikten in der Regierungskoalition kommen und zudem auch zu solchen innerhalb der bunt zusammengewürfelten Cinque Stelle. Es wird vom Geschick der Anführer abhängen, wie lange sie den unvermeidlichen Bruch abwenden können.

Der Ausgang dieses Experiments mit Sprengkraft wird davon abhängen, wie weit Salvini und Di Maio es treiben und wie lange sie in der Regierung bleiben. Ihre Ziele sind nicht völlig abwegig: Steuersenkungen können Wachstum stimulieren, Arbeitslosengelder können den sozialen Frieden sichern. Die Umsetzung muss aber so erfolgen, dass der Staat solch grosse Vorhaben finanziell verkraften kann. Nötig ist die enge Abstimmung innerhalb der Europäischen Union. Mit einseitigem, willkürlichem Vorgehen der Regierung in Rom wäre eine Katastrophe unausweichlich.

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